Pränatale Diagnostik und genetische Beratung psychotherapeutisch begleitet

Dr. Sabine Schwemmle

Fachärztin für Humangenetik, fachgebundene Psychotherapie, Bindungsanalyse, Pränatalpsychologie

Vortrag - Tagung der Internationalen Gesellschaft für pränatale und perinatale Psychologie und Medizin (ISPPM),  November 2005, Heidelberg

Die pränatale Diagnostik (PD) ist wesentlicher Bestandteil der vorgeburtlichen Medizin. Es handelt sich dabei um verschiedene diagnostische Maßnahmen (invasiver - , z.B. Amniozentese, Chorionzotten-, Plazentabiopsie, oder nicht-invasiver Art, z.B. Sonographie, Blutuntersuchung der Schwangeren) durch die morphologische, strukturelle, funktionelle, chromosomale und molekulare Störungen des ungeborenen Kindes nachgewiesen oder ausgeschlossen werden. Eine Amniozentese oder vergleichbare invasive Untersuchung wird derzeit in Deutschland etwa 70.000 Mal pro Jahr (bei ca. jeder 10. Schwangerschaft) vorgenommen. Im Umfeld einer interdisziplinären Betreuung ist es Aufgabe des humangenetischen Beraters, eine Schwangere in Bezug auf die medizinisch-genetischen Fakten der pränatalen Diagnostik zu beraten und sie im Rahmen der Untersuchung informierend zu begleiten.

Die primäre Motivation für die Durchführung einer PD ist es, die Befürchtung und Sorgen der Schwangeren zu objektivieren und abzubauen. Aus Untersuchungen der genetischen Beratungssituation ist bekannt, dass der Einsatz der Pränataldiagnostik von vielen Frauen jedoch als sehr belasten empfunden wird. Das Bestreben Sicherheit zu vermitteln und Risiko auszuschließen führt daher auch dazu, dass eine Schwangerschaft im Untersuchungs-zeitraum durch Ängste und traumatische Entscheidungszwänge geprägt werden kann.

Im Sinne einer gleichwertigen Sorge um Mutter und Kind ist es wichtig, die Perspektive des Kindes nicht auszublenden, sondern unter Berücksichtigung aktueller, pränatal-psychologischer Erkenntnisse neu zu reflektieren. Die Entscheidung für eine pränatale Diagnostik betrifft eben nicht nur die Schwangere selbst, sondern auch ihr ungeborenes Kind. Dessen physische Existenz sowie psychische und seelische Entwicklung können zutiefst von der Entscheidungsfindung, dem Eingriff selbst, der psychischen Belastung der Schwangeren sowie dem Untersuchungsergebnis geprägt sein.

Es ist naheliegend, dass nicht nur ein pathologisches Ergebnis der PD sondern auch die Durchführung dieser Untersuchung per se, ohne Erheben eines kritischen Befundes, die Mutter-Kind-Beziehung sowie die psychische Entwicklung des Kindes beeinflussen können
Wissenschaftliche Untersuchungen der psychologischen Auswirkungen pränataler Diagnostik auf das Kind sind dringend erforderlich und bisher kaum vorhanden. Es ist darüber hinaus wichtig, dass künftig die Forschungsergebnisse der pränatalen Psychologie als aktiver Gesprächsinhalt in die humangenetische PD - Beratung einbezogen werden.
Auch kann durch eine frühzeitige psychotherapeutische Begleitung der Schwangeren bzw. der Eltern sowie den Einsatz der Bindungsanalyse präventiv der Stressabbau und die gelungene Mutter/Eltern-Kind-Bindung entscheidend gefördert werden.